Als ich Noah kennenlernen durfte, bahnte er sich gerade den Weg entlang der begrünten Terassen am Augsburger Eiskanal. Das Markenzeichen der schulterlangen, dunkelbraunen Haare und der Wollmütze auf dem Kopf war auch bei den Fans während der Heim-WM ein gerngesehenes Fotoobjekt. Und doch fand ich bei Noah keine Starallüren. Ein unprätentiöser Augsburger schickte sich an, um sich in der Kanuslalom-Welt seinen Weg zu ebnen. Als ich den Artikel zur Heim-WM 2022 in der Süddeutschen Zeitung über ihn verfasste und ihn dabei näher kennenlernen durfte, da machte sich ein Gefühl breit, das abseits des Sports stattfand. Noah ist ein professioneller Sportler, ja mit ambitionierten Zielen – und doch auch mit einer grundständigen Prise Humor, Lockerheit und Lebensgefühl.
In den Ursprüngen erzählte er am Fuße des heimischen Augsburger Eiskanals, hätten die Eltern und der große Bruder, Samuel, einen redlichen Anteil gehabt. Mit einem Probetraining bei den Kanu Schwaben Augsburg war die Familie Hegge dem natürlichen Wildwasser der Fuggerstadt verfallen. Erst Samuel, dann Jonas, der mittlere der drei Brüder, und dann auch Noah. Als sich Samuel für die Jugendnationalmannschaft qualifizieren konnte, Noah war gerade einmal 12 Jahre alt, klickte es: „Das wäre cool, das auch einmal zu erreichen.“ Doch nur, um dem großen Bruder nachzueifern? Keineswegs. „Ich wollte gewinnen“, lautete schon damals die Ambition. Die Siegermentalität und das Streben nach Perfektion sind erhalten geblieben.
Dabei muss das Eifern nach Perfektion weder auf dem Wildwasser, noch in der Karriereplanung den einwandfreien Weg gehen, um an das optimale Ziel zu gelangen. So wählte Noah die unkonventionelle Variante: Eine Ausbildung in der Konditorei Euringer in Augsburg.
Das Handwerk lehrte Noah Einiges: Für sein Ziel hieß es zu schuften. Ein geregelter Tagesablauf, dazu die ständige Kommunikation im Team. Denn: Alleine sind die größten Hürden kaum zu bewältigen. Weder in der Konditorei noch auf dem Wildwasser. „Die Definition von einem perfekten Kuchen ist für mich übrigens, wenn man nicht nur ein Stück essen kann und danach pappsatt wäre sondern den ganzen Kuchen essen kann, weil er so leicht, luftig und lecker ist“, musste Noah schmunzelnd feststellen. Da ist sie wieder: Die Suche nach der Perfektion – auch im kulinarischen Metier.
Doch der Sport stand immer an erster Stelle. Und spätestens mit dem Sprung in die Junioren-Nationalmannschaft im ersten Juniorenjahr 2016 war die Entscheidung des fortlaufenden Weges gefallen: In der Karriereleiter immer bergauf. Oder eben flussabwärts.
Die Erfolge folgten nahezu parallel: Der Junioren-Europameistertitel im Team und die Bronzemedaille bei der Junioren-WM.
Im Jahr 2017 konnte Noah mit seinem Team gar den Weltmeistertitel bei der Junioren-WM erringen, das Ziel des Bundeswehr-Karriere verfestigte sich und 2018 nahm die Sportförderung der Bundeswehr den bodenständigen Augsburger mit der ausgeprägten Kaffeevorliebe in ihre Reihen auf.
2019 sollte die Silbermedaille bei den deutschen Meisterschaften folgen. Und während es den Anschein erweckte, dass mit dem Corona-Virus eine trübe Zeit eingeläutet wurde, konnte Noah mit Bestleistungen auftrumpfen – das Jahr 2021 sollte zum endgültigen Durchbruch werden: Das erste Jahr in der Leistungsklasse der Erwachsenen. Ein 6. Platz im Einzel bei der Premieren-WM, zwei weitere Top-10-Resultate sprachen eine eigene Sprache.
Und das vorläufige Karrierehighlight stand mit der Augsburger Heim-WM noch bevor. Im Juli 2022, Noah hatte sich in der nationalen Qualifikation als Zweiter durchgesetzt, sollte ein Goldregen über dem Augsburger Eiskanal hereinbrechen.
Nur 16 Stunden nach dem WM-Start durfte er sich bereits ausmalen, wie es wohl sein mag, sich auf dem Siegerpodest zur deutschen Nationalhymne die goldene Medaille umhängen zu lassen. Im Team mit Hannes Aigner und Stefan Hengst fuhr Noah auf den Spitzenplatz – ein Traum wurde Wirklichkeit.
Doch wer Jubelarien erwartete, der irrte. Eher spazierte Noah im Kreise seiner Brüder und der Freundin am Eiskanal entlang – und versprühte die Freude am Kanusport. „Kinder zu animieren, den Sport zu betreiben", das sei das Ziel, sollte er damals sagen. Und auch ein halbes Jahr später ist diese Gutmütigkeit noch zu spüren. Ob auf den Stufen des Eiskanals oder am Telefon aus dem Trainingslager des verregneten Londons.
Denn auch dort begibt sich Noah auf die Suche nach der Perfektion. Seine Karriere war er angetreten unter dem Mantra: „Wie gut kann ich sein, wenn ich mich total darauf konzentriere?“
Wohin der Weg führen mag, ist im Wildwasser oftmals ungewiss. Vielleicht kommt eine Strömungswelle, die vorerst die perfekte Fahrt verhindert. Doch mit Finesse und Leidenschaft ist vieles auszugleichen. So verabschiedete sich Noah in aller Gelassenheit: „Ich steige ins Boot, um mich für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr zu qualifizieren!“
von Benjamin Zügner